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“We have a lot of little flintstones on the road”, sagte man mir nach dem Rennen

Mein persönlicher Rückblick auf ein turbulentes Rennen in Dänemark – das Helnaes24: War es eher „Hell-nice“, oder doch „Helln-ass“? Angefangen hat es eher wie zweiteres, schlussendlich war es doch eine schöne Erfahrung und das Ergebnis war mehr als nice. Aber alles der Reihe nach, ich blicke nochmals auf alle Facetten dieser außergewöhnlichen Challenge zurück:

Nach dem erfolgreichen 24h Road Rekord, wo es mir gelang die 1000 Kilometer zu überbieten, war ich auf der Suche nach einem neuen Ziel, da ein erneuter Antritt über 24 Stunden in diesem Jahr keinen Sinn mehr machte.
Der eigentliche Plan mit der Fahrt auf dem Pikes Peak Raceway in Colorado im September war hinfällig, da ich mein Ziel schon früher als gedacht erreicht hatte, und es mit der Einreise in die USA aus der EU nach wie vor nicht klappt.

Welche Optionen boten sich also kurzfristig? Da ich im September fix beim „King of the Lake“ Einzelzeitfahren rund um den Attersee am Start bin, boten sich nur mehr Renntermine im August an, und da war die Auswahl sehr beschränkt. Das Race Around Austria war für den nötigen Aufwand mit Crew und Logistik zu kurzfristig, und außerdem war ich auf 24 Stunden eingestellt.
Das Race Around Denmark war eigentlich schon im Frühling 2020 auf meiner Wunschliste, die Teilnahme war damals aber aus bekannten Gründen nicht möglich. Es gibt von der „RAD“ Rennserie aber auch das „Helnaes24“, laut Website ein sehr feines Event mit schöner Strecke an der dänischen Küste, und noch dazu – was mir sehr gefällt und in Europa sehr selten ist – ist es ein 24 Stunden Rennen ohne Windschatten. Also ein Einzelzeitfahren.
Ganz nebenbei ist das Legoland in der Nähe, was für einen Regenerationstag nach dem Rennen ziemlich verlockend klingt.

Sabine und ich waren innerhalb weniger Stunden sicher, dass wir das machen. Sie als 1-„Mann“ Crew, und ich am Rad. Es folgten ein kurzes Email an den Veranstalter, eine freudige Antwort mit Startplatz-Zusage, Zimmer-Buchungen und ein Radservice inklusive einiger Umbauten. Denn was für die Rekordfahrt gut war, musste nicht unbedingt für Dänemark passen. Vor allem bei den Reifen ging ich auf ein bisschen mehr Sicherheit: Zwar nach wie vor die schnellen Turbo Cotton, aber drinnen Schläuche mit Pannenmilch. Laut Info einer Teilnehmerin vom letzten Jahr sind die Straßen recht gut, aber da wir auf der Strecke ohne Betreuung unterwegs sind, und ich selbst das Pannenset mitnehmen muss, um Defekte beheben zu können, wollte ich gerne ein paar Watt Rollwiderstand hergeben um etwas mehr Sicherheit zu haben.

Was mir vorab auffiel: Der Streckenrekord lag „nur“ bei 801 Kilometer, obwohl in Dänemark viele sehr gute Ultra Radsportler beheimatet sind. An der Fitness der Fahrer kann es wohl kaum liegen, aber die Strecke sieht laut Veranstalter-Homepage und Strava auch nicht so schlecht aus. Was hat es damit auf sich? Windig sollte es sein, auch hügelig und einige Kreuzungen mit Nachrang sind zu beachten – weil gesperrt ist natürlich nichts. Doch der Verkehr sollte doch keine große Rolle spielen, in der dänischen Pampa?

Nach einer auf 2 Tage aufgeteilten Anreise und einer Trainingsfahrt auf den beiden Kursen (man fährt 22 Stunden lang auf der großen 34 Kilometer Schleife, und die letzten 2 Stunden auf der kleinen 7 Kilometer Runde), war ich guten Mutes. Der Wind war allerdings schon richtig heftig zu spüren, vor allem auf der Passage über den Damm, der die Insel Helnaes mit dem Festland verbindet. Die Kitesurfer hatten ihre Freude mit dem pfeifenden Seitenwind, die Radfahrer eher weniger.

Unser Betreuungsplatzerl haben wir nahe Start-Ziel eingerichtet, aber nicht direkt in der Pit Zone. Wenn man nämlich in den Start-Ziel Ort Ebberup fährt, dreht man eine Runde durch den Ortskern und fädelt dann wieder auf die gleiche Strecke ein, auf der man gekommen ist. An dieser Kreuzung positionierte sich Sabine, denn dadurch komme ich pro Runde 2 Mal an ihr vorbei. Einfahrt bedeutete: Ensure-Übergabe, dafür hab ich dann circa 2 Minuten Zeit um es mir reinzugießen. Ausfahrt bedeutete: Leeres Ensure wegwerfen, und die Peeroton Flasche annehmen, die ich dann mit auf die Runde nahm, für die ich etwa 55 Minuten kalkuliert habe.

Das Rennen:
Eingeteilt werden die 24 Stunden Fahrer in 2 Kategorien: Draft und non-draft, also mit Windschatten und ohne Windschatten. Daraus ergibt sich zumindest theoretisch die Situation, dass ich als non-draft Fahrer niemandem am Hinterrad kleben darf, die Fahrer der anderen Kategorie aber sehrwohl in meinem Windschatten fahren dürfen. In der Realität war das aber nie so, da sich das Feld sehr bald gut aufgeteilt hat und so gut wie jeder sein Tempo anschlug. Es gab nur ein paar kleine Gruppen, die gemeinsam fuhren, wobei ich aber sehr bald merkte, dass diese TeilnehmerInnen sehr entspannt ins Rennen gingen und der ehrgeizige Kampf um gute Positionen nicht im Vordergrund stand. In dieser Kategorie ging es meiner Ansicht nach wirklich mehr um die Erfahrung, die 24 Stunden am Rad gemeinsam zu erleben.

Somit sollte sich der ambitionierte Wettkampf größtenteils in der non-draft-Kategorie entfalten. Die ersten Kilometer ging es wellig und tendenziell leicht fallend hinunter zum Strand, wo die Strecke über den brutal windigen Damm auf die Insel Helnaes führte. Ein Kilometer mit heftigstem Seitenwind, das Vorderrad und die Spur zu halten war eine richtige Challenge und am Aufleger liegend auch nicht ungefährlich. Nach dem Damm ging es auf der Insel den steilsten Anstieg des Kurses hinauf, etwa 30 Höhenmeter mit immerhin 5-9% Steigung. Mein 56er-Mono-Kettenblatt war ziemlich am Limit. Aber nach der Proberunde am Tag vor dem Rennen blieb ich hinten auf der 10-28 Kassette, die 10-33 war am Ersatzlaufrad montiert, das ich leider sehr bald brauchen sollte.

Im anschließenden Bergab-Stück knallte es nämlich. Am Ende der neutralisierten Zone – ab diesem Punkt müssen alle Fahrer die 20 Meter Abstand einhalten - trat ich auf der Geraden bergab ordentlich an um mich von der bislang 4 Mann starken Gruppe an die Spitze zu setzen und mein Tempo zu fahren. In der Aeroposition und laut Garmin 49km/h schnell muss ich offensichtlich irgendeinen Stein, oder ein auf der Straße liegendes Ding erwischt haben. Es krachte, es hob mich vom Rad, beide Reifen waren komplett kaputt und durchgeschlagen. Anscheinend habe ich mich in der Luft noch seitlich gedreht, denn ich bin nach dem Hechtsprung am rechten Schulterblatt gelandet. Mein körpereigener Bremsbelag in Form von Haut an Knie, Hüfte und Schulter wurde ziemlich gut abgenutzt um mich zum Stillstand zu bringen. Nachdem ich reflexartig das Rad aufgeklaubt habe und von der Straße gehumpelt bin, checkte ich kurz die gröberen Schäden ab und rief den Notruf zu Sabine: „Bitte sofort kommen, Ersatzrad einpacken, Werkzeugkiste, Ersatzbekleidung, volles Programm!“
Sabines Weg zum Auto, der Parcours aus dem Fahrerlager und die vorsichtige Fahrt entlang der Strecke dauerten etwa 20 Minuten, die ich schon zum Reparieren der geschundenen Zeitfahrmaschine nutzte. Einige Schrauben, wie Vorbau und Steuersatz (um den Lenker wieder gerade zu biegen) sind nämlich unter Aero-Verkleidung versteckt und mit schmerzenden zitternden Händen und Multi-Tool etwas mühsam zu erreichen.

Als mir dann das Ausmaß des Crashs bewusst wurde, ich realisierte wie offen mein Rücken war, kam die Frage auf: Soll ich überhaupt weiter fahren, macht das Sinn? Grund zur Aufgabe hätte ich gehabt, wegen Gesundheit und so. Auch hätte ich in der Saison nichts mehr beweisen müssen, aber es gibt da noch die Stimme in mir, die sagt: Aufgeben geht nicht, aus Respekt vor dem Veranstalter, vor den Mitstreitern, vor mir selber. Ich bin nicht den weiten Weg nach Dänemark gekommen, um dann nach 10 Kilometern aufzugeben. Außerdem wird es mit einem Tag am Strand sowieso nichts, bei windig regnerischem Wetter und mit offenen Wunden ist Salzwasser Badespaß eher mittelmäßig. Und im Hotel zu sitzen oder im Bett zu liegen tut gleich weh, als weiterzufahren. Ich versuchte zumindest langsam meinen Rhythmus zu finden, hoffte auf Besserung während der Bewegung, und steckte mir zur Not eine Schmerztablette ein. Absteigen konnte ich theoretisch immer noch.

Ich kam dann tatsächlich wieder in meinen Rhythmus. Die Laufräder mussten allerdings getauscht werden, fortan war ich mit normalen Reifen ohne Pannenmilch unterwegs.

Insgesamt hatte ich durch den Sturz etwa 40 Minuten Stehzeit und war nach der ersten Runde logischerweise am Ende des Feldes platziert. Ich merkte aber schnell, dass ich die Schmerzen ausblenden konnte, dass das Rad wieder funktionierte, dass ich auf die Führenden langsam aufholte. Sabine und ich hatten uns bei der Übergabe der Verpflegung eingespielt, es begann richtig gut zu laufen. Meine Leistung war mit 250 bis 270 Watt genau dort, wo sie sein sollte, meine Moral war am Höhepunkt der Leichtigkeit: Ich hatte nach dem Crash nichts mehr zu verlieren, war froh, dass ich überhaupt noch fahren kann und nichts gröberes passiert war, und außerdem war ich bald wieder an der Spitze dran. Der anfängliche Regen hatte sich auch gelegt, es war kühl und windig, also genau perfekt für mich. Nach etwa 9 Stunden konnte ich den Führenden Jakob Olsen einholen und mich an die Spitze setzen, ich war richtig happy und blieb weiter am Drücker.

Zumindest solange, bis ich merkte, dass der Hinterreifen weich wurde und ich offensichtlich einen Platten hatte. Beim Reparieren merkte ich, dass ich mit meiner CO2 Kartusche nichts machen kann, weil der Adapter für das Ventil fehlte – anscheinend nach dem Crash verloren. Zum Glück hielt gleich einer der super freundlichen Mitstreiter an und half mir aus. Während wir gemeinsam die Luft in den Schlauch zischen ließen, kam bei einem kurzen Plausch schon gute Stimmung auf. Ein unglaublich netter Kerl.

Weil das ganze kurz vor Start-Ziel passierte, war Sabine nicht schnell genug um aus dem Fahrerlager einen neuen Schlauch für mich zu holen, um mein Pannenset nachzubestücken. Ich fuhr also eine Runde weiter, bis ich Ersatzschlauch-Nachschub bekommen sollte. Was soll schon in der nächsten Runde passieren?

Einiges. Denn unten im Süden auf der Insel, pfiff es wieder. Diesmal aus dem Vorderrad. Zum Glück bekam ich wieder Hilfe: Isabelle Pulver (SUI), RAAM Siegerin, und Helnaes24 Titelverteidigerin stoppte und übergab mir ihren Reserve Schlauch samt Zubehör. Was für ein fairer Sportsgeist! Leider klappte es aber nicht, denn ich bekam den Adapter nicht aufs Ventil. Schön, dass mein Helfer von vorhin - Radoslav - nach ein paar Minuten wieder da war und mir schon wieder half. “Oh, no! A flat tire again? Let me help you one more time!”

Der nächste Defekt – diesmal wieder am Hinterrad – ließ aber nur 3 Kilometer auf sich warten. Weil Radoslav gleich wieder hinter mir daherkam, er aber auch schon „out of tubes“ war, musste Sabine wieder mit dem Auto ausrücken und mir helfen.

Offensichtlich hatten auch Jakob und die anderen Verfolger ihre Probleme oder stoppten kurz, um sich mit Licht und Warnweste für die Nacht auszurüsten, denn ich konnte trotzdem den ersten Platz verteidigen, und gut durch die Nacht kommen. Erst in der Früh erlebte ich meinen insgesamt sechsten Defekt.
Nach dem Rennen wurde ich oft gefragt, wie ich das nervlich ausgehalten habe, und warum ich das „deppate“ Rad nicht einfach weggeschmissen habe. Man hätte es mir nicht übel genommen, wenn ich ausgezuckt wäre. Aber da muss ich alle Temperament-Bolzen leider enttäuschen, denn mich bringt so schnell nichts aus der Ruhe. Ich war ja weder ein Mobbing-Opfer, noch wurde ich absichtlich zu Sturz gebracht oder wurden mir von bösen Konkurrenten die Reifen aufgeschnitten. Es war einfach eine Kombination aus Pech und eigener Schuld, in Form von (unwissentlich) schlechter Reifenwahl. Also warum soll ich die Nerven wegschmeissen? Wenn man alleine am Rad ist, merkt man auch sehr schnell, dass es nichts bringt, das Problem zu zelebrieren oder zu jammern. Es geht nur darum, so schnell wie möglich eine Lösung zu finden, und dafür braucht es innere Ruhe und Geduld.

Im Nachhinein habe ich jetzt schon von einigen Fahrern gehört, dass in Dänemark generell sehr oft Reifen kaputtgehen. Die haben dort "Flintstones" auf der Straße, bzw. Sand-Partikel im Asphalt, die irgendwann ausgewaschen werden. Die Einheimischen kennen das, aber die Ausländer erwischt es sehr oft. Turbo Cotton war definitiv nicht gut, da wäre der Roubaix oder der Turbo besser gewesen - aber das weiß man halt leider immer erst nachher...

Das Endergebnis des Helnaes24 Rennens war für mich dann schon sehr erfreulich. Mit insgesamt 23 großen und 6 kleinen Runden konnte ich gewinnen und den Streckenrekord auf 827km verbessern. Jakob Olsen, der beim RAAM 2019 als Rookie of the year am Podium landete, belegte den zweiten Platz. Bei den Damen konnte Isabelle Pulver, trotz ihres Stopps um mir zu helfen, klar gewinnen.
An dieser Stelle nochmals Gratulation an alle Finisher und den Veranstalter für dieses tolle Event.

Ich kann wirklich nur positiv berichten: Das Event ist nicht riesig, vielmehr ist es familiär und aktuell limitiert auf insgesamt 100 Teilnehmer. Die Menschen sind freundlich, offen, hilfsbereit, die Verpflegung für die Crew ist top, der faire Sportsgeist auf der Strecke für mich völlig verblüffend. Die Landschaft ist beeindruckend, der Wind ist immer da, und die Straßen sind definitiv speziell. Aber es war eine spannende und absolut gewinnbringende Erfahrung.

Danke an Sabine, die mich auch als 1-„Mann“-Crew mit Pannendienst, Soforthilfe und Verpflegung wunderbar durch die 24 Stunden gebracht hat, und danach circa gleich paniert war wie ich. Sehr schön war auch, dass ich mir bei Sabine auch den Eintritt ins Legoland verdient habe. Unser Deal war nämlich, dass wenn ich nicht ordentlich fahre, ich nur von außen zuschauen darf. Jetzt war ich also dabei, und wir genossen den folgenden Tag in Billund, auch wenn mich mein Körper noch schmerzlich an das Rennen erinnerte.

Die Schmerztablette habe ich übrigens nicht gebraucht, zumindest nicht während des Rennens. Erst in der Nacht, als die Wunden begannen, mit der Bettwäsche eine Einheit zu bilden.

Weitere Stories und ein Gespräch mit der großartigen 1-Woman-Crew Sabine gibt es in der kommenden Podcast Episode "Sitzfleisch" am 27.8.!

Links:

Ergebnisse 2021 Helnaes24: https://my.raceresult.com/156842/results

Webseite Helnaes24: racearounddenmark.org/en/rad-24-intro

Meine Fahrt/Leistungsdaten auf Strava: https://www.strava.com/activities/5805402698

Sitzfleisch Podcast auf Spotify: https://open.spotify.com/show/26Z87jcnHq7JhblGgevfMP