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#1day1000k

24h-Road Rekord 2021

Mein erstes Fazit - 1day1000k

1026,2 Kilometer in 24 Stunden: Ich hab das ganz ehrlich nicht für möglich gehalten, echt nicht. Dass ich die bestehende Bestmarke von 914 km überbieten kann, da war ich mir ziemlich sicher. Mit 960 km hab ich spekuliert, ich wollte den 40er Schnitt fahren – ja, runde Zahlen sind irgendwie einfacher im Kopf zu verankern, wenn es um Zielsetzung geht. Aber 1000 km zu schaffen, das war für mich überhaupt keinen Gedanken wert, weil ich mir keine unrealistischen Ziele setze, sondern solche, die ich auch erreichen kann. Aber dass es dann so gut lief, die Aerodynamik auch so gut war und ich mit „nur“ ca. 272W dann so schnell bin: ich fasse es noch immer nicht ganz.

Berechnet waren: Für 41,67 km/h, also den nötigen Schnitt für 1000 km, wären 280-290 Watt nötig, und das kann ich nicht drücken. Schon gar nicht in der schnellen Sitzposition, die schon voriges Jahr auf der Bahn in Augsburg getestet, errechnet und eingestellt wurde.
Berechnet waren weiters: Für 41,67 km/h in Höhenlage von 1800 Metern wären um 40 Watt weniger nötig. Und 240-250 Watt kann ich definitiv drücken. Das hab ich schon öfters geschafft, und diese Höhenlage tut mir nicht weh – so die Erkenntnis aus dem Höhentraining in St. Moritz.
Rausgekommen sind im Flachland Steiermark: Für 42,75km/h waren 272 Watt nötig. Ziemlich klar, was die zahlreichen kleinen Optimierungen an Sitzposition, Aero-Setup und Bike noch ausgemacht haben. Aber eben: unerwartet.

Und dazu der Live-Stream von K19, der so professionell und hochwertig gemacht war, 3 Kameras und ein Moderator vor Ort und die Moderation aus dem Studio. Wenn ich das jetzt selbst sehe, bin ich selbst immer noch perplex. Das sah einfach aus, wie Zeitfahren bei den Profis. Position, Speed, Kurven, Equipment, ich hab jetzt bei den Aufnahmen die Hosen voll, wenn ich sehe, wie ich mit 45 km/h um die Kurven gebrettert bin... Und es wurde ja auch von den Profis gewürdigt, bzw haben sie auf Eurosport recht viel darüber geredet. Und wenn das Jens Voigt erstaunt und er es wertschätzend verfolgt, dann sagt das schon was aus. Der Ultrasport ist in den letzten Jahren echt vorwärts gekommen, wird nicht mehr belächelt oder als sportlich wertloses Getue von "nichtschlafenden Radwanderern" abgetan, sondern man erkennt jetzt, dass das echt professionelle Herangehensweisen und Leistungen sind.

Ich hab mir permanent gedacht: „Oida, verdammt, was ist da los? Wo kommt der Speed her?"

Ich hab schon gewusst, dass das Setup gut ist, gewachselte Kette, Keramik Lager, spezielle Reifen von Specialized, dünnere Schläuche, ein angefertigter Zeitfahranzug der bei den Aero Tests auf der Bahn als schnellster von vielen Modellen ermittelt wurde, usw....

Aber als Gesamtpaket hab ich das im Training nie getestet, bin immer nur die Einzelteile Probe gefahren. Mal den Helm, mal den Anzug, mal die Scheibe, dann den Reifen - zum Schauen, ob alles passt und das Outfit bei den Temperaturen auszuhalten ist. Die Kette hält nicht ewig, daher wird die erst vor dem Start aufgelegt. Mit dem Helm ist das Training gefährlich, weil man von der Umgebung weniger hört, die Reifen sind etwas anfälliger für Defekte. Daher hab ich alles nur wenig und einzeln getestet, was das Gesamtpaket der vielen kleinen „marginal gains“ an Speed hergibt, wurde mir erst nach dem Startschuss klar.

Bei der Fahrt hab ich dann permanent nur gerechnet, wieviel Schnitt ich habe, wieviel ich verlieren darf um über 1000km zu bleiben. Und als ich merkte, dass ich quasi gar nicht abfalle, und mir auch nicht zum Speiben zumute ist von dauerhaft 110g Kohlehydraten pro Stunde, dann war mir klar, dass das "mein Tag" wird. Die ausschließlich flüssige Race-Ernährung bestand aus 3 Produkten: Ensure, Peeroton Hi-End Endurance und Panaceo Energy Boost, in den Tagen davor gab es noch Nahrungsergänzungen von Bonusan und Panaceo Pro Support für eine stabile Verdauung (alles bei mir im Shop erhältlich). Insgesamt wurden 14.400 kcal in 24 Stunden verdrückt.

Den ersten und einzigen Tiefpunkt erlebte ich nach zwei Stunden:
Der Rücken tat unerträglich weh, die Schultern verkrampften, der Magen meldete sich vorübergend deutlich. Aber ich weiß vom Training, und vom RAAM, dass sich diese Problemchen wieder legen und kein Grund zur Sorge sind. Mit innerer Ruhe wusste ich, dass das nicht von Stunde zu Stunde schlimmer wird, sondern sich einpendelt. Während ich auf meiner imaginären Schmerzskala nach 2 Stunden bei 95% im roten Bereich war, sank das später auf erträgliche 50% ab und dort blieb es auch.

Und mit jeder schnellen Runde, mit jeder schnellen Stunde wuchs die Motivation – es ging mir wahrscheinlich wie einem Ausreißer, der kurz vor dem Ziel noch immer nicht vom Feld eingeholt worden ist und langsam realisiert, dass er den Etappensieg heimbringen wird. Da kommt dann der mentale Rückenwind!

"Warum geht eigentlich was, was nicht zu gehen hat?"
Ich verstehe selbst noch nicht, warum das Ganze funktioniert hat. Wozu hab ich denn ein Jahr lang herumgerechnet mit Luftwiderstandswerten, Leistung, Kalorienverbrauch, Rollwiderstand usw… und wegen der depperten Höhenlage auf der ganzen Welt eine passende Strecke im wettergünstigsten Monat gesucht, wenn der Schas komplett normal daheim vor der Haustür zum durchdrucken geht, noch dazu wo es mir 9 Stunden am Schädl regnet und dadurch die Kurven rutschig und langsamer sind?!"

Das finde ich gerade sehr sehr lustig, erleichternd und es zeigt ein bisschen, dass man oft wirklich nicht zu viel rechnen sollte, sondern einfach tun! Und dass es schöner ist, sich nicht „das Unmögliche als Ziel zu setzen, um das Mögliche zu erreichen“, sondern wenn man mit etwas Demut realistische Ziele verfolgt, sich auf den Prozess konzentriert und Freude am Tun hat, und dann idealerweise über das Ziel hinaus schießt!

Danke für die Unterstützung
An dieser Stelle auch noch einmal ein Danke an das Österreichische Bundesheer, für die Organisation vor Ort, die Bereitstellung der gesicherten Strecke am Fliegerhorst Hinterstoisser und die Unterstützung des Sports im Allgemeinen.
Danke an meine jahrelang treuen Sponsoren, die mir mit dem nötigen Taschengeld unter die Arme gegriffen haben, um mich so gut auf das „Projekt #1day1000k“ vorbereiten zu können.
Ganz unbeteiligt war auch die punktgenaue Trainingsplanung meines Trainers Markus Kinzlbauer nicht ;-)
Danke an die Zuseher vor Ort und im Livestream, die vielen motivierenden Kommentare über Social Media, die perfekte Arbeit der Officials, die großartige Betreuung und Versorgung und die aufmunternden Worte meiner Crew und meiner Sabine, die allesamt unverzichtbar wichtig waren, um diese historische Gschicht wahr werden zu lassen!
 

 

Links:

Sammlung der 5 Livestream Einstiege zum Nachsehen: K19 Live Sendung 1 bis 5

Auflistung der genauen Rundenzeiten: Rundenzeiten 24h Road

Sitzfleisch Podcast zum 24h Rekord: https://open.spotify.com/episode/47BsGQzdNJ4LRevNW69waT?si=Yz704FbLRHW88vJeUizDgw&dl_branch=1

Blog Beitrag vom Baranski, Thema Rad-Tuning: https://www.derbaranski.de/blog/der-baranski-meets-christoph-strasser

Strava-File von der 24h Fahrt: https://www.strava.com/activities/5653170343

Interview auf Bikeboard.at: https://bikeboard.at/Board/Interview-Christoph-Strasser-1day1000k/-th264021

#jawui

PS: Ob ich trotzdem im September in Colorado antrete ist ziemlich unwahrscheinlich. Reiz und Motivation das Ganze auf einer echt perfekten Strecke nochmal zu probieren sind vorhanden, aber es ist immer noch so gut wie unmöglich in die USA zu reisen. Zumindest nur unter unangenehm komplizierten Umständen. Und ich müsste ja nicht alleine hin, sondern mit meinem Team – und spätestens für die Crew wird es mit der Einreisegenehmigung ziemlich aussichtslos. Aber der Pikes Peak Raceway läuft nicht davon.