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2014

Race Around Austria

Analyse und persönlicher Bericht - RAA 2014

persönlicher Bericht, Leistungsdaten, Analyse: Das Race Around Austria 2014 war wie erwartet brutal schwierig und lief für mich bei weitem nicht ohne Probleme ab. Mein Team hat mich aber immer so gut betreut, dass wir gemeinsam alle Schwierigkeiten meistern und eine neue Bestzeit aufstellen konnten – und das ganze bei extrem schlechten Wetterbedingungen.

Mein Ziel lautete auf alle Fälle unter 4 Tagen zu finishen, wenn es vom Wetter her möglich war wollte ich auch auf den Streckenrekord schielen. Aber mein Respekt vor dem RAA war sehr groß, die vielen Berge gegen Ende des Rennens, das unsichere Wetter, die Belastung für die Lunge, die mich beim bisher einzigen RAA-Antritt 2010 durch eine Lungenentzündung in die Knie zwang… Trotzdem war ich zuversichtlich, dass ich zwei Monate nach dem RAAM voll erholt war und das ganze gut überstehen würde.
Grundsätzlich lief das Rennen fast so gut wie erhofft, es gab aber einige Hoch- und Tiefpunkte, die ich hier aus meiner persönlichen Sicht beschreiben möchte:

Vom Start weg wählte ich mein Tempo sehr hoch, um einiges schneller als beim RAAM. Der Grund ist einfach das Wetter, das hier normale Leistung wie im Training zulässt, beim RAAM kommt immer der Faktor Hitze dazu, der die Leistung einschränkt.  So bin ich die ersten 4,5h mit durchschnittlich 285W unterwegs gewesen, bis zur Auffahrt ins Mühlviertel war ich bei Dauerregen am Shiv unterwegs. Ich wusste auch, dass ich nur in den ersten eineinhalb Tagen den Schnitt hoch halten kann, denn ab der Hälfte werde ich durch die Berge und die Schlafpausen viel langsamer werden. Wenn ich also ernstharft den Streckenrekord gefährden wollte, dann musste ich von Anfang an volles Tempo gehen. Im hügeligen Mühlviertel war ich immer noch sehr schnell, konnte die nächsten 10 Stunden mit einem Schnitt von 244W treten, im NO von Niederösterreich hatte ich dann bei erstmals aufgetrockneten Straßen und leichtem Rückenwind einen Split von 115km in 3 Stunden. Es lief phantastisch, Beine optimal, Ernährung passte gut, und das Wetter war zwar nass aber erträglich.

Erste Probleme traten dann nach der Soboth auf, mein linkes Knie begann stark zu schmerzen. Nach der Überquerung des Lesachtals, das meiner Meinung nach neben dem Kühtai die schwierigste Passage im ganzen Rennen ist, konnte ich mein Knie kaum mehr bewegen. Ich konnte im Anstieg zwar noch nach unten drücken, aber keinen lockeren Tritt mehr in der Ebene oder bergab machen, bzw. das Knie nicht mehr nach oben heben. Christoph Kohlbauer, mein Physio-Therapeut, stellte eine Entzündung des Muskelansatzes fest, und behandelte mich die von 20 auf 60 Minuten verlängerte Pause so gut wie durchgehend. Mit einem ersten Schmerzmittel konnte ich dann langsam auf den Iselsberg und weiter Richtung Glockner fahren.
Auf den Glockner kam ich wieder in eine gute Phase, und konnte das führende Zweierteam wieder einholen, das mich erst in der Pause überholt hatte. Als besondere Motivation versuchte ich, vor dem Red-Bull-4er-Team zu bleiben, das mich demnächst einholen sollte, und ich sah auch das Wetter immer schlechter werden. Der prognostizierte Schneefall trat dann auch wirklich kurz vor dem Hochtor ein. Angefeuert durch die vielen Zuseher und Betreuer der anderen Teams konnte ich bis auf die Passhöhe mein Tempo trotz Schneegestöbers hoch halten und wollte sofort in die Abfahrt, ohne durch eine Pause Zeit zu verlieren, und somit vor dem Wetter flüchten. Mittlerweile hatte es auf -1°C abgekühlt. Durch den Hochtor-Tunnel zog ich mir die Handschuhe über, am Fuschertörl dann wiederum während der Fahrt die Haube unter den Helm. Eine kurze Pause zum Umziehen gab es erst kurz vor Zell am See, wo ich dann komplett durchnäßt und ausgekühlt einen „Total-Wechsel“ meiner Bekleidung bekam.

Mit dem gleichen Wetter ging es weiter Richtung Tirol. Die Straße trocknete nur kurz auf, ab dem Gerlos erwischte mich wieder der Dauerregen und begleitete mich über das Kühtai und die Silvretta. In der Ebene war das Knie immer noch brutal schmerzhaft, ich trat so viel wie möglich mit rechts, ausklicken aus dem Pedal konnte ich mittlerweile auch nicht mehr. Insofern war ich über die vielen Höhenmeter nicht unglücklich, denn in jeder Steigung ging es meinem Knie besser.
Mit dem Schlafentzug ging es mir erstaunlich gut, obwohl ich bis zum Beginn der dritten Nacht erst zwei Powernaps von 15 und 40 Minuten „intus“ hatte, was mehrere Gründe hat: In Österreich ist man durch die vielen kleinen Orte, die winkeligen Straßen, das dauernde Navigieren durch Kreuzungen und Kreisverkehre auf einem ganz anderen Konzentrations-Level als auf einer 100 Kilometer langen Geraden beim RAAM. Durch Regen und Kälte (und Schmerzen) wird man auch eher wachgehalten, allen voran aber wegen der vielen Zuschauer auf der Strecke. Immer wieder begleiteten mich Freunde ein paar Kilometer auf dem Rad oder standen mit einem Transparent am Straßenrand und feuerten mich an. Sogar als wir bei 1°C im Starkregen die Bielerhöhe auf der Silvretta erreichten, war jemand da und jubelte mir zu – und das um Punkt Mitternacht. Dieser Zuspruch war schon irre und beflügelte mich immer wieder! Die Abfahrt nach Bludenz war dann eine harte Nummer: mit halb eingefrorenen Fingern, auf regennasser und rutschiger Strasse, über unzählige Serpentinen ging es Richtung Tal. Weil ich wegen des Knies bergab nicht treten konnte, kühlte ich total aus und ich bekam Schüttelfrost. Das war das einzige was mich wachhielt, die Müdigkeit wurde durch das nicht-bewegen immer schlimmer, aber ich wusste dass ich keine Wahl hatte – ich musste bis Bludenz durchhalten, denn dort wartete der Bus, also mein Schlafplatz, auf mich. Mit vielen Selbstgesprächen versuchte ich mich selbst zu motivieren und wachzuhalten, ich pushte mich immer wieder. Durch den permanenten Regen fielen die Cardo-Funkgeräte, die grundsätzlich auch bei Nässe gut funktionierten, immer wieder kurz aus. Und genau dann, wenn ich aufbauende Gespräche am dringendsten gebraucht hätte, klappten sie nicht. Es war ein harter Kampf, aber ich erreichte irgendwie Bludenz, wo ich dann im warmen, trockenen Auto in einen tiefen Schlaf fiel, während Kohli mein Knie versorgte.

Nach 40 Minuten Schlaf fühlte ich mich wieder recht frisch, und konnte flüssig auf das Faschina-Joch fahren, vor dem ich mich insgeheim wegen der durchgehenden Steilheit fürchtete. Bei perfektem Funkkontakt lief dann auch wieder der Schmäh, die Stimmung war gut, und so kletterte ich auch den Hochtannberg recht solide im Morgengrauen hinauf. Ich wusste dass ich nicht einmal mehr einen Tag durchhalten musste, und das gab mir Auftrieb. Die Aussicht auf ein trockenes, warmes Bett, war zu der Zeit der größte Ansporn. Nach dem extrem anstrengenden Fernpass, der durch den starken Verkehr eine echte Nervenprobe darstellt, wurde das Wetter wieder besser. Ich freute mich schon seit Stunden auf den geplanten Powernap in Telfs, also nach der Abfahrt ins Inntal. Die vielen Höhenmeter haben mich ganz schön mitgenommen, ich merkte jetzt auch nach jedem Berg körperliche Schwächephasen, die sich zusätzlich durch extreme Müdigkeit und Hitzewallungen oder Schüttelfrost äußerten.
Nach 20 Minuten Schlaf erwachte ich und fühlte mich wieder wie neu. Mit kurzer Hose auf dem Zeitfahrrad rollte ich durchs Inntal und wurde sogar von einigen Sonnenstrahlen erfasst. Das beste aber war, dass mein Knie wieder schmerzfrei war, was ich mir nie gedacht hätte. Kohli hat mir im Nachhinein verraten, dass er in Lienz nicht mehr daran glaubte, dass mein Knie bis ins Ziel durchhalten würde. Auch ich hatte immer wieder Angst davor, das Rennen abbrechen zu müssen. Doch jetzt war alles gut: Das Knie beschwerdefrei, flaches Terrain am Zeitfahrer, trockene Straßen. Jetzt wurde ich auch noch zusätzlich motiviert, weil mein Freund und Trainingskollege Severin Zotter bei der Tortour sensationell in Führung lag. Die Tortour (1000km rund um die Schweiz) findet zeitgleich zum RAA statt, und Sevi war auf den letzten Kilometern auf Siegeskurs. Wir versuchten über Freisprechanlage kurz mit Sevis Team zu telefonieren und wir konnten uns auch tatsächlich gegenseitig alles Gute wünschen. Ein paar SMS später, bekamen wir die Nachricht, dass Sevi wirklich die Tortour gewann. Es war unglaublich, ich freute mich so unfassbar mit ihm und wurde dadurch selbst auch wieder schneller. Auch der erneute Regen, der uns nach Innsbruck wieder erwischte, konnte meine gute Laune nicht verderben. Die hielt aber nur bis Saalfelden, denn aus irgendeinem Grund bekam ich dort ein richtig schlimmes Tief.

Nach dem Wechsel aufs Roubaix, als die Steigung zum Filzensattel begann, musste ich vom Rad. Vor 10 Minuten war mir noch extrem kalt, ich zwang mich zum Essen, obwohl ich auch fast nichts mehr hinunter brachte. Und jetzt glaubte ich zu Verglühen, ich fühlte mich plötzlich als hätte ich Fieber und würde mir der Kopf explodieren. Stehenbleiben und ab ins Auto war die Lösung. Ich zog mich aus, saß nur mit Hose und Unterhemd bei 10°C im Auto und bekam kaum Luft. Auf einmal war ich mir gar nicht mehr sicher, wie ich es ins Ziel schaffen sollte. In meinem Zustand konnte ich keinen Meter fahren, der Puls war für die mittlerweile lächerliche Leistung auch viel zu hoch. Meine Betreuer kümmerten sich perfekt um mich, und wir vereinbarten dass ich es zumindest versuchen muss. Ganz dünn bekleidet trat ich im Schritttempo bergauf, mittlerweile wurde es zum letzten Mal dunkel. Scheb ging neben mir und wir plauderten über alles Mögliche, Hauptsache ich war nicht allein in meinem Zustand und wurde von meinen Sorgen abgelenkt. Ich glaube seinen Laufschritt hat er nur mir zu Liebe vorgetäuscht, damit ich mich nicht ganz so langsam fühlte. Luft bekam ich weiterhin nur ganz schlecht, ich musste kämpfen damit ich mit 5 km/h irgendwie auf diesen ewig langen Berg raufkam. In Wirklichkeit ist der Anstieg nur 3 Kilometer lang und im Normalfall kein großes Hindernis.
In dieser Situation rettete mich ein Gedanke: Pause in Bischofshofen! Dort wären die letzten Anstiege geschafft, mein restliches Betreuerteam wartete dort mit dem Bus, und ich hatte eigentlich ja keinen Stress. Mein Vorsprung auf den zweitplatzierten Patric Grüner betrug 200 Kilometer, und mein Guthaben auf den Streckenrekord von Joachim Ladler (3d:21h beim RAA 2013) etwa 5 Stunden. Einzig die Rennleitung munterte uns immer wieder auf, wir möchten uns doch bitte beeilen, damit die Leute beim Marktfest meine Ankunft noch sehen könnten.
So reizend ein Zieleinlauf mit vielen Zusehern auch ist, so egal war mir das in dem Moment. Ich versuchte nur Meter für Meter bergauf zu schaffen, was mir nach einer gefühlten Ewigkeit auch gelang. Oben am Dientner Sattel hatte ich mein Teilziel erreicht: Den letzten Pass irgendwie überlebt. Nun musste ich nur nach Bischofshofen hinunter rollen, und dann wartete mein Bett auf mich, bevor ich ganz locker im Überlebensmodus Richtung Ziel rollen wollte. 

Aber es kam dann ganz anders als erhofft, bzw. als befürchtet.
Nach der Abfahrt wurde dieses Gefühl der totalen Erschöpfung wieder weniger, die Lust auf eine Pause aber war nach wie vor groß. Plötzlich waren da aber viele Fans in der Stadt um uns Teilnehmer anzufeuern. Dann waren da noch Freunde und Kollegen, die mich die letzten 90 Kilometer mit dem Auto begleiteten und immer wieder vom Straßenrand aus Stimmung machten. Dann riefen sie mir zu, dass 3000 Leute in St. Georgen auf mich warteten und die Stimmung im Ziel ein Wahnsinn sei. Mit dem Schlafen schaute es jetzt nicht mehr so gut aus, denn auch der Bus, also mein Schlafplatz, überholte mich jetzt, Bipo und Kougi gaben auch beim Betreuen nochmals alles, motivierten mich so gut es nur ging.
So konnte ich von Bischofshofen über die welligen 95 Kilometer bis ins Ziel noch einmal Gas geben und alles aus mir herausholen. Aber was heißt eigentlich dass ich konnte? Ich musste es, denn wenn man spürt dass so viele Menschen hinter einem stehen, kann man die unmöglich enttäuschen. Ich konnte mich ja nicht vor allen hinlegen und behaupten, dass ich die letzten 50 Kilometer nicht mehr durchhalten würde. Bei so viel Begeisterung konnte ich einfach keine Pause mehr einlegen, wenn man weiß dass im Ziel 3000 Leute auf einen warten, verleiht die Vorfreude ganz einfach Flügel! Ich kam noch einmal richtig in den Flow, die letzten Energiereserven wurden mit einem Energy-Drink angezapft, und ich näherte mich St. Georgen. So ein Zielsprint ist schon irre, aber das ist alles dann möglich, wenn die Motivation stimmt. Und die kam in diesem Moment nicht aus mir selbst, sondern von außen. Von meinem Team und den Zuschauern. Ich konnte das RAA also wirklich gewinnen! Es war einer der schönsten Momente meines Radfahrer-Lebens: Die Zieleinfahrt in St. Georgen!

Es war nicht übertrieben, es waren wirklich unglaubliche 3000 Menschen da, die Zieleinfahrt durch das Spalier im Festzelt und dann auf die Bühne war ein Traum. Nur die Rampe zur Bühne hinauf war ziemlich gefährlich, mich hätte es fast noch im Ziel auf die Schnauze geschmissen. Ich hatte Gänsehaut, Tränen und Sekt in den Augen – erstere wegen der Emotionen nach diesem harten Rennen, zweitere wegen der Sektdusche, die mir dann noch zu Ehre wurde. Direkt nach dem Zieleinlauf musste ich dann noch zur Dopingkontrolle der NADA, bevor ich am Weg ins Quartier im Auto einschlief. Danke an alle in St. Georgen für diesen unglaublichen Zieleinlauf!
Als Bilanz kann ich nach diesem Rennen nur sagen, dass ich auf mein Team und meine Leistung sehr stolz  bin, dass wir trotz dieses widrigen Wetters und körperlichen Problemen das Rennen so beinhart durchgezogen und mit 3d:15h:24min einen neuen Streckenrekord aufgestellt haben. Nach dem RAAM war es im Vorfeld nicht so einfach, nochmals die Motivation fürs RAA aufzubringen, aber es ist gelungen. Ich glaube dass es bei besseren Bedingungen möglich ist, das RAA in 3d:12h zu fahren, was ich in Zukunft eventuell nochmals versuchen möchte! Meine reine Schlafzeit betrug insgesamt nur etwa 100 Minuten, trotzdem musste ich im Vergleich zum RAAM weniger mit Schlafentzugsproblemen kämpfen.

Herzliche Gratulation an dieser Stelle an alle Finisher des RAA, der RAA Challenge und des RAA1500. Da wurden von allen Teilnehmern unglaubliche Leistungen erbracht, die meisten hatten auch mit Knieschmerzen durch die Kälte zu kämpfen – es waren für alle sehr harte Bedingungen. Besonders möchte ich auch noch die perfekte Organisation hervorheben: das Team um Michael Nußbaumer hat es in mittlerweile 6 Jahren geschafft, ein großartiges Rennen aufzubauen. Super Stimmung und Flair in St. Georgen, fehlerfreier Ablauf im Rennen, viele Zuschauer, tolle Medienarbeit!
Ich möchte mich hiermit auch bei allen Unterstützern bedanken, und bei allen, die mich via Homepage, Facebook oder vor Ort angefeuert haben! Danke an mein großartiges Team: Scheb, Kougi, Kohli, Bipo, Hausi und Kahli!

Hier noch die genaue Auswertung meiner Fahrt:
Leistungsdaten, Zeit, Distanz, Höhenmeter – aufgeteilt in mehrere Einheiten, aber vollständig aufgezeichnet.