Zum Hauptinhalt springen

2014

Race Across America

Rennbericht RAAM 2014 - die sieben Tage im Rückblick

Auf Rekordjagd durch die USA: Der große Bericht vom Race Across America. 35000 Höhenmeter, 4860 Kilometer, 12 Bundesstaaten, 4 Zeitzonen, 1 Etappe - das RAAM ist die ultimative Herausforderung im Ultra Radsport.

RAAM-Bericht: Tag 1 - Das Abenteuer beginnt

Der Startschuss zum 32-igsten Race Across America fiel am Dienstag, den 10.Juni, im kalifornischen Oceanside um 12:00 Uhr Ortszeit. 48 Einzelfahrer, darunter 5 Frauen, und 214 Teamfahrer nahmen die 4.880 Kilometer lange Strecke durch die USA in Angriff. Christoph, der im letzten Jahr die magische „Acht-Tages-Grenze“ erstmals unterschritten hatte, wollte seinen Sieg erfolgreich verteidigen und damit für seinen dritten Triumph beim RAAM sorgen.

Die letzte Woche vor dem Rennen verbrachte Christoph bei Temperaturen um die 45°C zur Akklimatisation in der Mojave-Wüste und konnte sich gut auf die Bedingungen einstellen: "Im Grundlagentempo bin ich schon sehr fit, aber man merkt hier einfach, dass der Mensch nicht für die große Hitze geboren ist. Beim Intervalltraining am Berg bin ich in der Mittagshitze fast vom Rad gefallen, obwohl ich getrunken habe wie ein Kamel und musste die Einheit abends wiederholen. Ich spüre, dass man hier seine Leistung nur zu 80% bringen und die Trainingswerte aus Österreich nicht umsetzen kann. Im Rennen muss ich vor allem am ersten Tag aufpassen, dass ich nicht überhitze.“

Eine weitere Anpassung vor dem RAAM erfolgte bei der Ernährung, die Christoph schon drei Tage vor dem Start umstellte. Christoph ernährte sich mit der Flüssignahrung, die er im Rennen zu sich nehmen würde, nämlich mit Ensure Plus und dem kohlehydratreichen Elektrolytdrink GSFood Hi End Energizer. Damit ist es möglich, den Bedarf von ca. 15.000 kcal und 24 Liter Flüssigkeit pro Tag zu decken. Durch die Anpassung vor dem Start konnte sich Christophs Verdauung schon umstellen, allerdings war es für seine Laune eine große Herausforderung. Es wurde ihm viel Disziplin abverlangt, vor allem beim Grillabend vor dem Start, als das Betreuerteam noch feine Steaks verputzte.

Doch der Aufwand lohnte sich, denn vom Start weg war der „Strasser-Express“, wie ihn seine Crew nannte, voll auf Kurs: Der Titelverteidiger rollte als letzter Starter von der Rampe, es lief von Beginn an perfekt. Christoph dosierte sein Tempo und achtete darauf, nicht zu hart zu beginnen, die Watt-Anzeige seines Garmin-810 ständig im Blick. Die Temperaturen stiegen schnell an, von der kühlen Küste führt die Strecke nach 150km über die 1000 Höhenmeter lange „Glass-Elevator-Abfahrt“ hinunter in die Wüste. Hier gab es eine Schrecksekunde, als der Deutsche Stefan Schlegel unmittelbar hinter Christoph schwer zu Sturz kam. Christophs Team leistete sofort erste Hilfe, wenig später war auch das Team von Stefan vor Ort und behandelte ihn. Zum Glück konnte er das RAAM fortsetzen.

Nach dem Wechsel auf das Shiv Zeitfahrrad war Christoph in seinem Element: Er nutzte den leichten Rückenwind perfekt aus und flog mit Spitzengeschwindigkeiten von 55km/h durch die Ebene. Die Crew sorgte für gute Stimmung, mit lauter Musik und motiviert durch das Vorlesen von Gästebuch-Einträgen hielt Christoph die erste Nacht planmäßig ohne Schlafpause durch und konnte sich nach Timestation 5 schon einen Vorsprung von 50 Kilometern auf Platz zwei erarbeiten.

RAAM-Bericht: Tag 2 & 3 - Schlaflos über die Rocky Mountains

Der zweite Tag des RAAM war besonders fordernd, denn die Temperatur war entlang der vielen Anstiege in Arizona immer noch sehr hoch. Geschützt mit Kühlmanschetten behielt Christoph kühlen Kopf und schaffte es die unzähligen Hügeln und Berge hinter sich zu bringen. Als er spät nachmittags die in 2000m Höhe liegende Timestation in Flagstaff erreichte, wartete die Crew schon auf ihn und vollzog den „Schichtwechsel“. Dieser einstudierte Ablauf dauert nur wenige Minuten, die 3 Betreuer von der Tagschicht übergeben das Auto sowie alle Infos an die Nachtschicht, das Auto wird so nebenbei betankt und mit Proviant nachgefüllt.

Nach circa 34 Stunden stieg Christoph dann das erste Mal für einen Powernap vom Rad, der eigentlich schon viel früher erfolgen hätte sollen. Doch als Christophs Team einen Platz für eine kurze Pause suchte, wurden sie von einem Police Officer aufgehalten und kontrolliert. Diese stressige Aktion war so nervenaufreibend für alle, dass die Pause verschoben wurde, weil Christoph nach dieser Aktion alles andere als entspannt war. Doch am Eingang zum Monument Valley passte es optimal für eine Pause, die 20 Minuten dauern hätte sollen. Christoph wachte aber nach nur 12 Minuten von selbst auf und wollte sofort weiter.

Der Höhepunkt des bisherigen RAAM war die Überquerung des höchsten Punktes im Rennen, dem Wolf Creek Pass. Christoph war hochmotiviert und kurbelte die 30km lange Passstraße sehr entschlossen hinauf. Oben gab es eine Ansprache von ihm, er nahm sich vor weiter alles zu geben, ganz egal wie weit die Konkurrenz zurück fiel. Mit diesem Motto schaffte er es noch bis Trinidad zur ersten geplanten Schlafpause. Nach der Überquerung der gesamten Rockies und einer Fahrzeit von 61 Stunden fiel Christoph in einen einstündigen Schlaf.

Zwischenstand TS 20 – Trinidad, CO (1853 km absolviert)

1.Christoph StrasserAUT02d:12h:23min30,69 km/h
2.GerhardGulewiczAUT03d:04h:48min24,17 km/h
3.MarkPattinsonGBR03d:05h:59min23,75 km/h
4.HansNyfelerSUI03d:07h:43min23,24 km/h
5.AndersTesgaardDEN03d:08h:59min22,88 km/h

RAAM-Bericht: Tag 4 und 5 - Seitenwind in Kansas

Nach der Schlafpause in Trinidad kam der „Strasser-Express“ wieder ins Rollen und profitierte von günstigen Wetterbedingungen: Es war zwar windig, aber nicht extrem heiß. Neben der herrlichen Landschaft in Colorado bekam Christoph durch folgende Statistiken zusätzliche Motivation, die er von der Crew vorgelesen bekam: Ihm gelang der schnellste Start in der 32-jährigen Geschichte des RAAM. Noch nie hatte ein Fahrer die ersten 900 Meilen mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von über 20 mph (32,2 km/h) absolviert. Und noch nie zuvor hatte ein Fahrer an den ersten beiden Tagen 1528 Kilometer absolviert! Der RAAM-Präsident vermutete sogar schon einen neuen Rekord, doch Christoph und Teamchef Rainer wollten davon noch nichts wissen, sondern sich von Timestation zu Timestation orientieren.

Mit einem enormen Vorsprung von über 400 Kilometern auf den Oberösterreicher Gerhard Gulewicz, erreichte das Team Strasser kurz nach Mitternacht den Halfwaypoint zwischen Pratt und Maize. Die Durchquerung  von Kansas war für Christoph ein echter Härtetest. Der starke Seitenwind wurde immer heftiger und blies Christoph fast vom Rad. Die Windböen erreichten Spitzen von 80 km/h, hinzu kamen die zahlreichen Trucks auf dem Highway, die massiv Staub aufwirbelten, weshalb er fast durchwegs mit Mundschutz fahren musste. Normalerweise ist Kansas eine seiner Lieblingspassagen, doch der unermüdliche Seitenwind nagte an seinen Nerven und ließ keine gute Laune aufkommen, gegen die Müdigkeit musste sogar ein 20-minütiger Powernap eingelegt werden. Es war nicht möglich mit ihm zu sprechen, denn durch den Wind verstand er die Durchsagen der Betreuer nicht. Trotzdem schlug er sich tapfer und stemmte sich gegen den Wind.

Die nächste einstündige Schlafpause war wieder bis ins Detail durchgeplant, jeder Betreuer erledigte seine Aufgaben während Christoph schlief und an den Knien behandelt wurde. Zum Erstaunen aller wachte er sogar 30 Sekunden vor dem Wecker auf und fühlte sich wie ausgewechselt, kurbelte wenige Minuten später schon wieder am Highway Richtung Osten. Die Temperaturen waren relativ kühl, der Himmel bedeckt und Unwetter blieben aus. Lediglich der nicht enden wollende Seitenwind war zermürbend.

Teamchef Rainer bestätigte Christophs guten Zustand und war beeindruckt, wie fit und fokussiert er nach dem Aufwachen war. Auch Gelenke und Gesäß bereiteten noch keine Probleme, nur die Lunge war von der Höhe und dem Staub etwas belegt, was sich aber bald wieder bessern sollte. In Missouri, dem nächsten Bundesstaat, konnte Christoph seinen guten Rhythmus beibehalten und schaffte noch drei Timestations, bis er in Jefferson City einen weiteren Powernap einlegen musste. Dieser zeigte aber nicht die Wirkung, die sich die Crew erhofft hatte. Obwohl Christoph 15 Minuten schlief, war er die nächsten 2-3 Stunden nicht wirklich fit und wurde von Rainer für eine längere Schlafpause vom Rad genommen, da er anfing am Rad einzuschlafen. Anschließend war Christoph topfit und konnte den Großteil Missouris in der Nacht und am Vormittag  durchqueren. Dadurch hatte er im „Bundesstaat der aggressiven Autofahrer“ ruhige Verkehrsbedingungen und erreichte schon zu Mittag, nach einer Fahrzeit von knapp unter 5 Tagen, den Mississippi. Die Überquerung des größten Flusses Nordamerikas war ein markanter Punkt und leitete das letzte und schwierigste Drittel des RAAM ein.

Im flachen Illinois konnte Christoph seine Stärken als Zeitfahrer wieder ausspielen und bewältigte eine Etappe sogar mit einem Schnitt von über 30 km/h. Eines seiner Ziele waren auch die Sonderwertungen „King of the Plains“ und „King oft he Mountains“, die durch das Addieren je drei ausgewählter Timestations errechnet werden. Bei diesen Spezialabschnitten war Christoph besonders motiviert und konnte Missouri schnell und ohne spektakuläre Zwischenfälle durchqueren.

Ein kleiner Wehrmutstropfen war das bekanntgewordene DNF von Gerhard Gulewicz, dem Christoph via Facebook gute Besserung ausrichten ließ. Trotz der Konkurrenz im Rennen tat es allen im Team leid, dass Gerhard aussteigen musste und die österreichische Doppelführung damit Geschichte war. 

Zwischenstand TS 35 – Mississippi (3300 km absolviert)

1.ChristophStrasserAUT04d:20h:28min28,32 km/h
2.MarkPattinsonGBR06d:00h:37min22,82 km/h
3.HansNyfelerSUI06d:02h:58min22,45 km/h
4.AndersTesgaardDEN06d:06h:34min21,92 km/h
5.NicoValsesiaITA06d:08h:59min21,69 km/h

RAAM-Bericht: Tag 6 und 7 - Verwirrt in den Appalachen

Beim RAAM ist eine konzentrierte und erholte Crew sehr wichtig, müde Betreuer werden fehleranfällig. Daher freute sich Christophs Team in Indiana auf eine große Timestation mit Duschmöglichkeit. Doch leider war diese noch nicht aufgebaut, weil niemand so früh einen RAAM Fahrer erwartet hatte. Umso erfreulicher war es, dass die Crew bei Freunden in Ohio kurz entspannen konnte, während Christoph vom Media-Team begleitet wurde. Genau in dieser Phase ging ein Regensturm nieder, abgerissene Äste flogen durch die Luft und die Straße stand teils unter Wasser – zum Glück dauerte dieser Starkregen aber nur eine Stunde.

Langsam aber sicher war der Österreicher von den Strapazen gezeichnet: Das Aufstehen nach den Pausen wurde schwieriger, Knie und Achillessehne schmerzten immer stärker, die Stimme war angeschlagen und der Tritt war nicht mehr rund. Viel schlimmer wurde aber die Müdigkeit, der Schlafentzug begann sich immer stärker auszuwirken.

Er hielt aber trotzdem tapfer dagegen und fuhr eine mehr als passable Geschwindigkeit durch die Hügel der Appalachen-Vorläufer. Sein Kampfgeist war erstaunlich, auch ohne Druck von Konkurrenten behielt er seinen Fokus und rief sich immer wieder sein Ziel vor Augen: Er wollte bis zum Finish alles aus sich herausholen. Am Appalachian Highway waren vorbeirasende Trucks in der Nacht beinahe lebensgefährlich, Christoph wurde vom Pace Car abgeschirmt, um nicht unter einem Truck zu landen. Nach 170 nervenaufreibenden Highway-Kilometern stoppte das Team Strasser in Grafton, kurz vor Beginn der steilen Anstiege, für die letzte Schlafpause.

Die Weiterfahrt war zäh, Christoph durchlebte eine Mischung aus Euphorie und Verzweiflung. In guten Phasen redete er klar und machte Witze, freute sich über Mails und Nachrichten aus der Heimat. In den immer öfter auftauchenden Krisen nahm er die Umgebung nur mehr verzerrt wahr und verlor den Bezug zur Realität, wusste nicht mehr wo er überhaupt war und verstand nicht, was das RAAM sein sollte. In solchen Phasen war der Rückhalt durch sein Team besonders wichtig.

So beschrieb Christoph seine Gedanken während einer schlimmen Krise in den Appalachen: „Ich wusste nur mehr, dass ich für irgendwas kämpfen muss, dass ich dieses Pedal immer bergauf und bergab drücken muss, dass ich mein ganzes Leben auf irgendwas hingearbeitet habe, dass ich nicht verlieren will. Ich kämpfte. Aber wofür? Ich verstand nichts mehr, konnte mich nicht orientieren und wusste nichts von einem Radrennen. Egal. Ich musste weiterkämpfen!“

RAAM-Bericht: Tag 8 - Der Showdown

Christoph fuhr trotz Krisen weiter, sein Körper kurbelte trotz Schmerzen unermüdlich, auch wenn der Kopf zwischenzeitlich nicht mehr mitspielte. Sein Team kannte ihn schon so gut, dass sie in jedem Moment die richtigen Worte oder Tricks fanden, um ihn bei Laune und am Rad zu halten. Erschwert wurde das nur durch Christophs Sprachlosigkeit: Weil seine Stimme aufgrund der dreckigen Luft endgültig versagt hatte, konnte er nicht mehr reden, was sein Lieblingsrezept gegen Müdigkeit – nämlich Plaudern und Witze zu reißen – unmöglich machte.

Schon seit Tagen lautete das Duell Christoph gegen seine eigene Rekordzeit, und diese Herausforderung nahm er in der letzten Nacht noch einmal an. Ein letzter 20-minütiger Powernap weckte genug Energie, um ihn unter lautem Jubel seiner Betreuer über die „rolling hills“ in Maryland jagen zu lassen. Sogar das Wohnmobil, das normalerweise weiter nach vorne fährt, war nun immer in seiner Nähe, damit das komplette Team ihn emotional unterstützen und die letzten Kilometer vor dem Ziel miterleben konnte. Zusätzliche Motivation kam über das  Internet: Mehr als 4000 Fans waren in den letzten Stunden via Live-Cam online dabei, 13000 Fans auf Facebook und 3000 Einträge im Gästebuch seiner Homepage zeugten vom großen Interesse am RAAM. Einziges Problem in der Schlussphase des Rennens war eine Serie an Reifenschäden an den Begleitfahrzeugen, die jedoch mit Improvisationstalent schnell behoben wurden. Früh morgens war es dann soweit und Christoph rollte in einem herrlichen Sonnenaufgang in den Zielort ein.

Mit der Österreich-Fahne in Händen und mit der Eskorte seines Teams erreichte er mit einer sensationellen Rekordzeit von 7d:15h:56min das Ziel im Hafen von Annapolis. Die Erleichterung und die Freude waren grenzenlos, Christoph und sein Team hatten das geschafft, was die meisten für unmöglich hielten: Der eigene Rekord aus 2013 wurde um mehr als 6 Stunden unterboten. Für ein Interview im Ziel fehlten aber die Kraft und die Stimme, er schlief auf der Bühne nach der Überreichung der Medaille ein und kann damit sicher sein, sein eigenes Versprechen erfüllt zu haben, nämlich ohne Energiereserven im Ziel angekommen zu sein!

Endstand TS 55 RAAM 2014 – Annapolis, MD (4860 km absolviert)

1.ChristophStrasserAUT07d:15h:56min26,43 km/h
2.MarkPattinsonGBR09d:02h:50min22,21 km/h
3.NicoValsesiaITA09d:12h:44min21,24 km/h
4.AndersTesgaardDEN09d:17h:27min20,82 km/h
5.HansNyfelerSUI09d:19h:07min20,66 km/h